Erreichen wir mit der Digitalisierung eine Spaltung der Gesellschaft? Die Diskussion über Chancen und Hürden, die Anke Domscheit-Berg am Dienstag im The Place Berlin führte, lässt erahnen, wie es um die Digitalisierung der Bundesrepublik steht. Falsche Strategien und fehlendes Know-how führen zu Defiziten – vor allem beim Ausbau des Netzes in Deutschland. Dabei sind die Gefahren, die mit fortschreitender Digitalisierung für die Gesellschaft aufkommen genauso eklatant wie die Vorteile, die sie birgt.
Der Verlust der Identität
Der Fall der Mauer war für Anke Domscheit-Berg gekoppelt an den Verlust der Identität. Für sie war die Zeit in der DDR prägend. Sie erlaubt ihr, einen anderen Blickwinkel auf den Wandel, der mit Brüchen einhergeht, einzunehmen. Denn wo viele nur die Entwicklung von Services sehen, sieht sie die Gefahr des Identitätsverlusts. Ein Bruch der Strukturen ist immer auch ein Zurücklassen des Alten. Seien es politische Systeme oder aber Berufe, die verloren gehen. Nun steht ein solches System nicht für sich allein. Es ist ein Universum von Individuen. Gehen die Berufe verloren, gehen auch Individuen verloren. Domscheit-Berg musste nach dem Fall der Mauer eine neue Ausbildung machen, hat einen neuen Weg eingeschlagen. Neue Wege zu gehen, kommt aber nicht für jeden Menschen in Frage. Was passiert mit diesen Menschen, wenn Jobs verloren gehen und ganze Branchen von der ökonomischen Bildfläche verschwinden? Ein Resultat des Identitätsverlusts, der mit dem Mauerfall einherging, ist für Domscheit-Berg der Zusammenschluss von Gruppierungen wie Pegida. Bringt der Fortschritt und das Zeitalter der Digitalisierung also einen kulturellen und politischen Rückschritt? Aus dem Fall der Mauer hat Domscheit-Berg zumindest eines gelernt „alles ist möglich“. Doch wie bereiten wir uns auf das Mögliche vor?
Die Rolle der Politik
Denken wir an Digitalisierung, denken wir an Roboter, KI und IoT – weniger aber an eine Spaltung der Gesellschaft. „Niemals zuvor hat sich die Gesellschaft so schnell verändert“, so Domscheit-Berg. Was aber kann die Politik machen, um einen sanften Wandel und nicht aber einen Fall des Systems zu begleiten? Es braucht sowohl das Innen sowie das Außen. Allein die Politik kann den Wandel nicht definieren. Das Außen, die Gesellschaft, muss seinen Teil dazu beitragen, um eine Digitalisierung für alle einzuleiten. Doch bisher glänzt nichts, dort wo Glasfaser und Schweiß für Deutschland in einem ersten Schritt die Basis schaffen sollen: ein normal funktionierendes Internet. Denn wie sollen digitale Prozesse und Services in ein System eingebettet werden, dessen Netz lädt und lädt und lädt. Woran es fehlt: Kompetenz. Neben fehlender Kompetenz ist, so scheint es, die Vision noch nicht ausgereift. Denn dort, wo Arbeitsplätze verloren gehen, weiß Domscheit-Berg, macht sich nicht nur Unmut breit, es fehlen auch Gelder. Wer zahlt die fehlenden Steuergelder? Steuern wir auf ein Zeitalter der Robotax zu?
Digitalisierung: der Tod der Industrien?
Wenn auch 9 von 10 Jobs, die ersetzt werden, im Bereich des Service anzusiedeln sind, für Domscheit-Berg steht fest, dass keine Hierarchie, keine Industrie und kein Beruf vor der Digitalisierung gefeit ist. Wir alle werden betroffen sein. Ein Ansatz, um sich dem was kommt zu stellen: Bildung. Unsere Kinder müssen lernen zu Coden. Selbst wenn sie dieses Wissen nicht anwenden, ist es wichtig, um ein Verständnis für die Prozesse und Mechanismen der Digitalisierung zu entwickeln. Außerdem kann die „Art zu denken“ auf andere Gebiete angewendet werden. Kinder müssten früh verstehen, dass sie ein aktiver Teil des Systems sind. Inwiefern sich Digitalisierung und aktive Teilhabe gemeinsam entwickeln können, bleibt abzuwarten. Denn die Passivität scheint durch Devices und Co. doch zu wachsen. Das Außen verschwindet in einer Flut an Apps. Wir sehen, was uns digital vermittelt wird, mehr nicht.
Das Dilemma der Verteilung
Der Wohlstand müsse neu verteilt werden. Wir blicken auf eine Befreiung aus scheiß Arbeit für eine scheiß Bezahlung. Was es braucht, ist eine Umverteilung. Doch wie soll etwas, das heute schon nicht funktioniert, künftig ein System stützen, das die Menschen am unteren Ende vergisst oder ignoriert. Denn wie eine Freundin mir oft predigt, 98 Prozent der Ressourcen liegen in den Händen von 2 Prozent der Menschen. Wir müssten also jetzt anfangen, daran zu arbeiten. Wir müssen vermeiden, dass sich digitale Monopole bilden, dass Menschen auf der Strecke bleiben. Dort, wo scheiß Arbeit verschwindet, sind immer noch die Menschen, die von dieser Arbeit leben. Es bleibt die Frage danach, ob wir tatsächlich in der Lage sind, die Stimme zu erheben, nachdem wir erzogen wurden, den Mund zu halten. Erhalten wir durch die Digitalisierung eine Stimme oder verlieren wir sie nicht vielmehr, durch die Schaffung von Bedürfnissen wie dem, jemanden bei seiner „Goodnight Routine“ zuzuschauen, während wir uns selbst nicht mal mehr „die Zähne putzen“. Wie soll das digitale System dafür sorgen, dass wir freier werden, wenn wir uns immer mehr davon abhängig machen? Was ist mit Ländern, die schon heute über gar kein Internet verfügen? Steuern wir hier nicht auf eine immer größere Kluft zu? Die Konzentration von Macht spitzt sich zu. Was wirklich passieren wird, wir wissen es nicht. Neben der Euphorie, mit der wir dem neuen System begegnen, sollten wir den richtigen Grad an Skepsis aufbringen. Denn dort wo Grenzen aufgebrochen werden, gibt es auch immer den Bruch…
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